Montag, 8. August 2011

Schwarze Stunde

Letzten Samstag gab es für das Hospital eine ganz schwarze Stunde – aus der Maternity wurde ein Baby gestohlen. Eigentlich ist das unvorstellbar, denn die Mütter sind mit ihren Neugeborenen nie allein. Eine Oma, Tante oder Schwester, in den seltensten Fällen der Vater des Kindes, ist in den ersten Tagen immer dort und steht der Mutter bei. Der üblicherweise in einen Kanga gewickelte Neuankömmling wird umhergetragen und allen gezeigt. Vielleicht konnte es auch gerade deshalb passieren, bei den vielen Anwesenden fällt es kaum auf und es wird nicht darauf geachtet, ob vielleicht jemand ein fremdes Baby im Arm trägt. In den von den Frauen in mehreren Lagen übereinandergetragenen Kangas, den bunten Universaltüchern, kann man so einen kleinen „Frischling“ außerdem problemlos verstecken.

Es geschah während der abendlichen Besuchszeit, wenn also noch ein Familienangehöriger mit dem Abendessen kommt, dabei wird es schon ein bisschen unübersichtlich auf der Station. Natürlich gab es große Aufregung und die Polizei wurde sofort informiert. In diesem Falle setzten jedoch alle ihre große Hoffnung, das Baby schnell und gesund wieder zu finden, auf die wohl allen Tanzaniern eigene Neugier und ihr großes Mitteilungsbedürfnis. Hier wird über alles und jeden geredet, nichts bleibt verborgen. Es gibt keine Neuigkeit, die nicht sofort weitererzählt werden muss und jeder weiß so ziemlich alles über jeden.

Am Sonntag wurden Suchanzeigen aufgehängt und in den umliegenden Dörfern verteilt. So rechneten im Hospital alle damit, dass es auffällt, wenn plötzlich ein Neugeborenes auftaucht, ohne dass zuvor eine schwangere Frau in der Familie zu sehen war. Dies ist aber längst keine Veranlassung, diese Entdeckung der Polizei mitzuteilen. Die Nachbarn fragen vielleicht nach, doch hier gibt es immer und für jede Situation irgendeine Erklärung, mit der man sich zufrieden gibt, sei sie auch noch so absonderlich.

Damit die Suche also möglichst schnell zum Erfolg führt, wurde eine Belohnung ausgesetzt – 50.000 Tsh – ein halber Monatslohn für einen ungelernten Arbeiter, wenn er überhaupt einen Arbeitsplatz hat. Für die meisten Leute in der Region ist es richtig viel Geld und die Verlockung groß genug, intensiv nach dem Baby zu suchen. Tatsächlich gab es bereits am Sonntagabend erste Informationen, man wisse, wo das Baby sei, z.T. haarsträubende Vermutungen und recht wilde Spekulationen, es wurden viele Orte genannt, auch in Ifakara hätte man eine Frau mit diesem Kind gesehen.

Aber am Montag gab es wirklich den entscheidenden Hinweis. Makali fuhr mit Mama Chogo und Polizeibegleitung ins benachbarte Dorf. Sie fanden den Säugling bei einer Frau. In Windeseile hatte sich das natürlich herumgesprochen, vor dem Hospital gab es eine große Menschenansammlung. Alle warteten - und als unser sonst eher vorsichtige Fahrer Makali angebrettert kam, wurde das glücklicherweise wohlbehaltene Kind mit einem unglaublichen Freudengeschrei empfangen.

Nicht jede Frau bringt hier ein willkommenes Baby zur Welt, doch die junge Mutter und ihre Familie waren ehrlich verzweifelt und bestürzt, schockiert, wie alle Angestellten auch. Es war ihr erstes Kind und sie hatte sich wirklich gekümmert. Überglücklich konnte sie nun ihr Baby wieder in die Arme schließen.

Die ausgesetzte Belohnung wurde am Dienstag von zwei Männern abgeholt. Sie wollten, dass es niemand mitbekommt, doch auch dies wird mit Sicherheit nicht geheim bleiben.

Wie immer, wenn etwas passiert ist, wird über Konsequenzen nachgedacht. Vor Jahren war die Tür zur Maternity immer verschlossen. Neben der Tür gibt es ein Fenster mit einer Holzplatte als Abstellfläche, durch welches das Essen für die Mütter hereingereicht wurde. Irgendwann war diese Platte weg und man konnte nichts mehr abstellen. Jeder ging ein und aus und niemanden störte es. Jetzt wird unser Tischler Lyabonga wieder eine Abstellfläche an besagtem Fenster anbringen und die Tür verschlossen bleiben. Mal sehen wie lange.

B.

1 Kommentar:

  1. Eure Erlebnisse - immer noch etwas neues... Ich wünsche Euch weiter alles Gute! Grüsse aus der Schweiz! Michael

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