Donnerstag, 17. Februar 2011

Imprest

Wenn irgend etwas gekauft, repariert oder angefertigt werden muss, müssen wir unsere Handwerker, Angestellten oder den Fahrer als Mittler bemühen. Natürlich könnte man selbst nach Handwerkerleistungen oder „Dingen des täglichen Bedarfs“ fragen, aber wir sind nun einmal “wazungu“ und für uns gelten beim Einkauf oder für Dienstleistungen andere Preise – Weiße sind per se reich. Auf jeden Fall wird dann zuerst nach „imprest“ gefragt. Niemand hat hier genug Geld, um eine Leistung oder Ware vorfinanzieren zu können und braucht deshalb einen Vorschuss. Da es keine Festpreise gibt, wird jeder Vorschuss zur Verhandlungssache. Bei diesen Gesprächen erlebt man dann ein seltsames Phänomen: Wenn es um ihr eigenes Geld geht, rechnen die Angestellten mit jedem Pfennig. Da kann es schon einmal passieren, dass eine nurse bei der Gehaltszahlung vorrechnet, durch das erforderliche Auf- und Abrunden würde sie in drei Monaten knapp 500 Schilling (das sind etwa 25 Cent) verlieren. Eine Lohndifferenz von 1000Tsh wird mit Sicherheit bei der nächsten Lohnzahlung nachgefordert. Handelt es sich aber um das Geld des Hospitals- dann kennt die Großzügigkeit keine Grenzen. Die beantragten Vorschüsse sind oft einfach absurd. Da werden zum Beispiel, wie bereits erwähnt, für die Anfertigung von zwei Stühlen schon einmal 2kg Nägel und 2kg Lack aufgeschrieben, für den Bau einer kleinen Abwassergrube 1000 Ziegelsteine oder für 7 Fuhren Feuerholz 105 Liter Diesel (damit könnte man bis Dar es Salaam und noch ein Stück weiter fahren!!). Es gibt – wie immer- mehrere Gründe für diese in unseren Augen unverständlichen Forderungen.

Es ist, und das erlebt man auch in Deutschland, immer leicht, fremdes Geld auszugeben- wie das Sprichwort sagt: mit einem fremden Arsch kann man gut durchs Feuer gehen. Da kann es dann schon einmal vorkommen, dass der Prinzipal der nursing school sich für die Tür zu seinem Arbeitszimmer eine teure Designer-Türdrückergarnitur wünscht, die das 3-4 fache einer normalen kostet. Es ist nicht sein Geld- privat würde er sie niemals!! kaufen oder auch nur an einen Kauf denken. In der Vergangenheit hat sich nie jemand die Mühe gemacht nachzuprüfen, ob die beantragten Mengen auch wirklich gebraucht wurden. Um auf die Abwassergrube zurückzukommen: als wir in Lugala ankamen, lag neben jeder der in den letzten Jahren gebauten Gruben ein Haufen Ziegelsteine. Es wurden eben irgendwann einmal 1000 Steine bestellt, 700 wurden verbaut und der Rest blieb liegen und irgendwann war er überwachsen oder zerfallen. Niemand hat gesagt: 700 Steine reichen aus, diese Rückmeldung war auch nicht ausdrücklich verlangt worden und der leitende Arzt hatte mit Sicherheit anderes zu tun, als sich um den Bau von Abwassergruben zu kümmern. Doch es ist immer noch schwierig, den Bestellern die wirklich benötigte Menge klarzumachen und in Bezug auf die Steine hat das auch nur dann funktioniert, nachdem ich an einer Mauer gezeigt habe, wieviel man mit 1000 Ziegeln bauen kann. Die vielen herumliegenden Steine haben wir dann übrigens bei einer neuen Grube und in den Fußboden eines ganzen Hauses verbaut- und es waren immer noch welche übrig.

Anders ist es mit den schon erwähnten Nägeln, mit Farbe, Stiften, Batterien oder anderen Kleinigkeiten, die immer in großen Mengen angefordert werden. Soviel kann unmöglich verbraucht werden und mir fällt bei diesen Bestellungen immer ein Spruch aus der DDR ein: aus unseren Betrieben ist noch viel mehr herauszuholen. Was dann ja auch gemacht wurde- ich war da keine Ausnahme. Oder man einigt sich hier mit dem Verkäufer (der natürlich die volle Summe als erhalten quittiert) und teilt den Überschuss. So funktioniert das bei der Materialbeschaffung und wir haben den großen Vorteil, dass wir in unserem früheren Leben in einem sozialistischen System aufgewachsen sind und uns die Tricks und Beweggründe noch einigermaßen vertraut sind.
Bei „imprest“ werden aber auch gleichzeitig die Entlohnungen verhandelt und dabei wird es dann richtig spannend. Der Vorschussempfänger wird nämlich für den Auftrag cash worker anheuern und jeder Schilling, den er mehr raushandelt, ist sein Verdienst. Es gilt also abzuwägen: wie qualifiziert ist die Arbeit, wie ist der normale Tageslohn dafür und wieviel Zeit muss für die Erledigung veranschlagt werden. Um wieder bei unserer Abwassergrube zu bleiben: für den Bau der Grube wurden 100.000 Tsh aufgeschrieben. Das entspricht dem Monatsverdienst eines ungelernten Arbeiters - die geforderte Summe dem Arbeitslohn für 20 Tage. Man muss also vorrechnen, dass der Tagesverdienst 5.000 Tsh beträgt, ungefähr die für den Bau erforderliche Zeit erfragen und dann wird die Summe festgesetzt, plus einer Zugabe, denn irgendwie müssen am Ende alle Beteiligten zufrieden sein. Der gerade im Bau befindliche neue Fahrradunterstand ist ein weiteres Beispiel. Der alte war mehr als baufällig und die erste Imprestforderung für den Neubau betrug etwas über 1.6 Millionen. Eine aufwändige Dachkonstruktion, alles neu- wie gesagt: fremdes Geld spielt keine Rolle. Wir haben uns dann nach einigen Gesprächen auf eine einfachere Variante geeinigt und auch darauf, dass das Altmaterial wieder verwendet wird. Jetzt kostet der Bau knapp 200.000 Tsh. Erschwerend kommt hinzu, dass die Preise innerhalb des letzten Jahres um 20- 25 Prozent gestiegen sind. Bei unserer Ankunft kostete der Liter Diesel 1.600 Tsh, jetzt sind es 2.000 Tsh, der Preis für einen Sack Zement ist von 1.200 Tsh auf 1.500 Tsh gestiegen; auch diese Inflation muss natürlich berücksichtigt werden.
Bei diesen „Verhandlungen“, auch wenn Aufträge direkt an cash worker vergeben werden sollen, fällt auf, dass es für viele Einheimische oft schwierig ist, bestimmte Sachverhalte abstrakt zu sehen und auch die Konsequenzen zu bedenken. Wieder das Beispiel Grube: ich kann demonstrieren, wieviel Mauer man mit 1000 Ziegelsteinen mauern kann- beim Übertragen auf eine Mantelfläche wird es dann schon ausgesprochen schwierig. Oder wenn eine Mülldeponie vorbereitet werden soll. Dazu muss eine große Grube vorbereitet werden (wenn ich das bisher geschriebene lese: man könnte glauben, hier werden laufend Gruben ausgehoben...) dafür sind 500.000 Tsh veranschlagt. Das ist richtig viel Geld und die 2-3 beschäftigten Arbeiter können mit diesem Projekt gut verdienen. Sie werden dafür nicht einmal 4 Wochen brauchen. Zwei zuvor angesprochene Arbeiter wollten 1,2 Millionen Tsh, eine Summe, die sie sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen können. Aber für das gebotene Geld arbeiten sie nicht und sitzen weiterhin zu Hause, ohne jeglichen Verdienst.

Das alles soll eigentlich nur einmal veranschaulichen, wie der tägliche Arbeitsablauf oft verkompliziert wird, dass es oft „interkulturelle Probleme“ gibt. Aber wir haben in dem einen Jahr hier auch gemerkt, dass man unmöglich unsere Welt mit der Welt der Einheimischen vergleichen und noch weniger übertragen kann. Vielleicht ist das auch gut so, denn es wäre doch schlimm, wenn am deutschen Wesen die ganze Welt genesen sollte.

P.



Mittwoch, 16. Februar 2011

Fehlstart

Über den Ärger mit unseren defekten Geräten hatte ich schon berichtet, die Reparatur des Kopierers war richtig teuer und auf unseren Charger für die Solaranlage, den wir vor 4 Wochen in Dar es Salaam abgegeben haben, warten wir noch immer. Während der abendlichen Generatorlaufzeit können die Batterien nicht aufgeladen werden und der Sonnenstrom reicht tagsüber nicht aus, alle Geräte zu versorgen. Seitdem müssen wir mit permanenten Stromnetzzusammenbrüchen leben. Für den OP-Trakt gibt es jetzt einen sparsamen kleinen Generator, den wir extra für diesen Zweck als Notstromaggregat von Peters privater Spende in Dar es Salaam gekauft haben.

Auf der Fahrt dorthin ereilte uns die schon fast obligatorische Reifenpanne, allerdings diesmal nicht nur mit Plattfuß sondern total zerfetztem Reifen, der erst im Oktober letzten Jahres neu gekauft war. Mit dem Ersatzrad kamen wir glücklicherweise ohne Zwischenfall bis Morogoro. Den Ernstfall mit weiterer Untewegs-Panne möchte ich mir gar nicht vorstellen, hier gibt es schließlich keinen ADAC, auf den man warten kann...

Keine Qualität: Reifen aus Ostafrika

Wie immer war unsere Einkaufs- und Erledigungsliste sehr lang und diesmal stand auch ein Bankbesuch auf dem Programm. Es soll möglich sein, für unser Bankkonto einen online-Zugang zu bekommen, mit welchem wir immerhin unseren Kontostand abrufen können – mehr geht sowieso nicht. Die SOLIDARMED-Chefin ist öfter in Dar, hatte diesen Zugang schon beantragt, eine Bestätigung mit Passwort für das erste Login auch erhalten, funktioniert hat es nicht. Das Bankgebäude war schnell gefunden, die eisgekühlten Glaspaläste sind schließlich nicht zu übersehen. Wir vermuteten den benannten Mitarbeiter in einer der oberen Etagen oder wenigstens in einem separaten Büro. Aber er saß mitten in der Schalterhalle, wie alle anderen „Kundenberater“ umringt von unzähligen Kunden, die ihm alle irgendwelche Zettel vor die Nase hielten und zuerst bedient werden wollten. Es herrschte die unglaublichste Drängelei und Unordnung, die man sich in einem Bankgebäude einfach nicht vorstellen kann und die so gar nicht zu den eher zurückhaltenden Tanzaniern passt. Das Drängeln überließ ich Peter, irgendwann erhielt er einen aktuellen Kontoauszug, ein Formular mit einer weiteren Unterschrift und das Versprechen, dass der online-Zugang in den nächsten 3-4 Tagen freigeschaltet wird. Unser Berater klang sehr überzeugend und trotz fast einem Jahr Tanzania-Erfahrung glaubten wir ihm – es funktioniert bis heute nicht.


Die Trockenzeit war bzw. ist diesmal sehr lang und der Wasserspiegel weit abgesunken, was bedeutet, dass schon morgens kein Wasser mehr aus der Leitung kommt und nur die Pumpe bleibt. Für den Hospitalbetrieb wird natürlich auch Wasser benötigt und wir müssen ab und zu auf teuren Generatorbetrieb umschalten, um unsere Wasserpumpe in Gang zu setzen, die übrigens auch Ersatzteile brauchte. Wird Infusionslösung hergestellt, muss die Wasserversorgung ebenfalls gesichert werden. Letzte Woche bat der Mitarbeiter, den Generator anzustellen, für die benötigte Menge Wasser braucht er ungefähr 5h. Leider fiel genau in diese Zeit seine Pause und er ist erst einmal für über eine Stunde zum Lunch verschwunden.
Keiner hier begreift, dass fließendes Wasser und Strom etwas Besonderes sind. Man weiß, dass es schon vormittags kein Wasser mehr gibt, dreht die Hähne trotzdem bis zum Anschlag und wenn das Wasser wieder fließt, muss sich erst einmal jemand finden, der die Hähne wieder zudreht. Emma und Charles bilden da übrigens keine Ausnahme. In einem Stationszimmer der Schwestern war ein Wasserhahn überdreht, ließ sich also gar nicht mehr schließen. Und es störte niemanden, dass das Wasser unaufhörlich weiter lief, wenn der Generator angestellt wurde, auch das Licht brennt dann tagsüber in allen Räumen. Selbst unsere so umsichtige Matron verlor darüber kein Wort, sie haben dafür einfach kein Gespür.

Anfang Februar nahmen für 3 Tage die Auditoren das Hospital unter die Lupe. Ihr Urteil war nicht gerade berauschend, für mich aber nicht unerwartet. Nachdem feststand, dass Njaala zum Studium geht, nahm im Juli des vergangenen Jahres unser junger unerfahrener Buchhalter seine Arbeit auf und zu diesem Zeitpunkt wurde auch das von SOLIDARMED favorisierte Buchhaltungsprogramm eingeführt. Zwar gab es umfangreiche Unterstützung von deren versiertem Buchhalter und bei Nachfragen hörten wir stets ein hakuna shida Dr. (kein Problem) doch ganz so war es eben nicht. Jedenfalls gab es einige Abweichungen der Buchungen von den Papierbelegen, die auch nicht unbedingt vollständig erfasst waren, was bei seiner losen Zettelwirtschaft allerdings nicht verwundert. Es war natürlich unsere Dummheit, das Jahr 2010 nicht als Testlauf zu deklarieren, bei der Einführung neuer Software gibt es schließlich immer Schwierigkeiten. Aber hinterher ist man immer schlauer.

Doch so ein Ergebnis wird hier schnell abgehakt. Alle schauen nach vorn und nächstes Jahr wird es besser.

B.