Samstag, 28. Mai 2011

Regenzeitimpressionen

Als wollte sich die Regenzeit genauso heftig verabschieden, wie sie begonnen hatte, öffnete der Himmel gestern noch einmal alle Schleusen und setzte binnen einer Stunde alles unter Wasser. An dieser Stelle ein paar Bilder der letzten Wochen.

Es regnet "Bindfäden"

Haus am See, eigentlich Reisfeld

Große Wäsche und Badefreuden

Naturschauspiel

Manche fühlen sich sauwohl

Zwangspause

Montag, 23. Mai 2011

Irritationen und Ärgernisse


An dieser Stelle muss ich heute einmal gestehen, dass ich in den vergangenen Jahren in Sachen "Internet" ein unbelehrbarer Ignorant war. Zeitungen, Fernsehen und Bücher waren für mich ausreichend- ich habe da wohl etwas verschlafen. Heute möchte ich dieses Medium nicht mehr missen und kann mir absolut nicht vorstellen, wie ich früher ohne diese Möglichkeit leben konnte. Im Internet findet man auf jede Frage eine Antwort und jede Behauptung lässt sich verifizieren- es ist einfach großartig, zumal es hier im Busch unser Fenster zur Welt ist. Aber das soll nicht das Thema sein.....
Eigentlich wollte ich an dieser Stelle einmal über Ärgernisse schreiben; auch weil viele unserer Berichte doch oft so einen folkloristischen Touch haben und man versucht ist zu glauben, das Leben hier mit seinen Besonderheiten sei überwiegend absurd, aber immer irgendwie lustig......
Ich wollte zum Beispiel erzählen, dass man unterwegs mit dem Auto oft von der Polizei angehalten und abkassiert wird. 30.000 Tsh kostet es mit Quittung, 10.000 bis 20.000 Tsh ohne, ein Grund für eine Strafe findet sich immer. Doch dann ist mir eingefallen, dass ich diese Art Wegelagerei auch schon in der Slowakei und in Ungarn erlebt habe. Beide Länder gelten auch nach europäischen Maßstäben als zivilisiert und solche Erlebnisse sollten eigentlich undenkbar sein. Das ist aber offenbar nicht der Fall und deshalb will ich auch lieber nicht über die Gehaltsaufbesserungsmethoden der tanzanischen Polizei sprechen.

Ein anderes Ärgernis ist die Tatsache, dass unser Hospital dauerhaft über seine Verhältnisse lebt, das heißt: die Ausgaben sind erheblich höher als die Einnahmen. Die Ursache dafür ist, dass vor etwa zwei Jahren die Hospitalangestellten endlich mehr Geld haben wollten (ohne danach zu fragen, wo das Geld herkommen soll) und deswegen gestreikt haben. Es war vor unserer Zeit, aber es muss wohl ziemlich hoch hergegangen sein. Auch jetzt ist es noch so, dass die OP- Mannschaft, wenn sie mit der Höhe einer Extrazahlung nicht einverstanden ist, einfach die Arbeit verweigert, keinen Handschlag macht und die Patienten warten lässt. Sie sind sich bewusst, dass sie am längeren Hebel sitzen; weil sie einfach nicht so schnell- und auch auf längere Zeit – nicht zu ersetzen sind und die Hospitalverwaltung auf jeden Fall irgendwann einschwenken muss. Wir haben gleich nach unserer Ankunft und dem ersten Kassensturz auf die bedrohliche finanzielle Lage hingewiesen: haben schöne Schaubilder gezeigt, die den zu erwartenden Verbrauch des Eigenkapitals und den Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit sehr eindrucksvoll dargestellt haben. Alle haben interessiert zugehört- geändert hat sich absolut nichts. Nicht eine einzige Forderung ist zurückgenommen worden. Im Gegenteil: wenn es auch nur die kleinste Chance gibt, noch ein paar Schilling aus dem Hospital zu ziehen- dann wird es versucht. Wir haben uns über die Streiks/Arbeitsniederlegungen sehr geärgert, zumal unsere staffs im Vergleich zu allen anderen Personen ringsum durchaus "Besserverdiener" sind, und wollten das einmal in einem Beitrag zum Thema machen. Glücklicherweise habe ich dann im Internet über die Streikaktionen der Lokführer in Deutschland gelesen und gedacht: eigentlich sind unsere OP-Mitarbeiter davon gar nicht so weit entfernt, da ist kein großer Unterschied..... Das war also auch keine Erwähnung wert.

Große Sorgen bereitet die drohende Zahlungsunfähigkeit des Hospitals. Wir stehen jetzt wirklich mit dem Rücken zur Wand und es hilft uns nicht weiter, wenn wir uns in unseren Voraussagen bestätigt sehen. Nun könnte man sagen: warum hat denn niemand begriffen, wo die Reise hingeht. Warum wollte niemand auf seine Vorteile verzichten, warum gab es keine Einsicht? Dann ist man schnell dabei, dies mit der speziellen Mentalität der Schwarzen zu erklären: mangelhafte Abstraktionsfähigkeiten oder fehlendes gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein. Aber dann gibt es wieder das Internet und wir lesen immer wieder Nachrichten über Länder, die schon seit Jahren über ihre Verhältnisse leben. Dort gibt es abenteuerliche Vergünstigungen und Sonderzahlungen (wie auch hier im Hospital), großzügigste Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen (wie auch hier im Hospital) und eine opulente Altersversorgung (das ist im Hospital so nicht möglich - Gott sei Dank). Diese Länder liegen aber nicht im weit entfernten Afrika oder sonstwo, sondern in Nachbarschaft zu Deutschland und alle haben zugesehen und diese Misswirtschaft geduldet.

Das Hospital wird Probleme haben, weil uns monatlich etwa 3000 Euro fehlen. Ich könnte jetzt versuchen auszurechnen, wie viele Euro den notleidenden Ländern in Europa monatlich fehlen- aber auch dort wird niemand bereit seit sein, Besitzstände aufzugeben (wie auch hier im Hospital). Noch bedrückender ist: sie können sich darauf verlassen, dass irgendwer irgendwie hilft, ganz einfach, weil es "übergeordnete Interessen" gibt. Ich kann mir nur wünschen, dass die singuläre Stellung des Hospitals in der Region auch von übergeordnetem Interesse ist und uns irgendwer irgendwie hilft. Es ist also durchaus keine tanzanische Besonderheit, wenn man permanent über seine Verhältnisse lebt und deshalb sollte ich ebenfalls nicht darüber schreiben.

Bleibt noch als Ärgernis die allgemeine, allgegenwärtige Korruption. Da wird Geld für Weiterbildungsveranstaltungen gezahlt, die nie stattgefunden haben; bei den Vorschüssen und Abrechnungen für Reisekosten müssten sich die Antragsteller eigentlich manchmal schämen, Originalrechnungen können problemlos gekauft werden, und, und, und.....Ganz besonders ärgerlich ist aus unserer Sicht die Tatsache, dass von allen Beschäftigten die allowances (also zusätzliche Zahlungen für Teilnahme an Sitzungen- sehr beliebt!!, für irgendwelche Verantwortlichkeiten, für die erstmalige Arbeitsaufnahme, für bestimmte Risiken, usw.) als Teil des Einkommens betrachtet werden, aber steuerfrei sind. Da diese Sonderzahlungen aber, besonders im staatlichen Bereich, fast so hoch wie das normale Einkommen sein können, geht dem Staat unglaublich viel Geld verloren.
Doch dann lese ich wieder im Internet, dass im vergangenem Jahr die griechischen Haushalte knapp 790 Mio Bestechungsgelder allein an den öffentlichen Bereich gezahlt haben- um die Ausstellung eines Führer- oder Fahrzeugscheins zu beschleunigen, um eine Baugenehmigung zu kaufen, die Steuererklärung manipulieren zu lassen oder was auch immer. Oder dass der Steuerabteilung nur allein in Athen 324 private swimmingpools angezeigt wurden, die Steuerfahndung aber bei einer Stichprobe aber 16.974 gezählt hat. Wenn ich mir dann noch den Korruptionsindex von transparency international ansehe, dann werde ich doch nachdenklich. Diese Skala geht bis zur Bestnote 10 (Neuseeland erreicht 9,4 und Dänemark 9,3) und dort wird Griechenland gemeinsam mit Bulgarien und Rumänien mit der Note 3,8 bewertet- dann ist der Unterschied zu Tanzania mit 2,6 gar nicht so groß. Dann denke ich mir, dass man im Glashaus nicht mit Steinen werfen sollte und verzichte auch in diesem Fall auf eine Bewertung.

Wenn ich alles zusammennehme und die Verhältnisse hier im Lande mit denen in Europa vergleiche (und da habe ich noch nicht über Umsatzsteuerbetrug in Deutschland, über die Müllmafia in Italien oder über die Vetternwirtschaft der englischen Abgeordneten nachgedacht), dann komme ich zu dem Schluss, dass ich eigentlich gar nicht über Irritationen oder Ärgernisse berichten sollte.
Am besten wäre es, diesen Beitrag als nicht geschrieben zu betrachten.

P.



Montag, 16. Mai 2011

Nightingale-Day

Wenn die Tanzanier etwas besonders gut können, dann ist es das Zelebrieren der zahlreichen bedeutenden oder weniger wichtigen Fest-, Feier- und Ehrentage. Der 12. Mai ist so ein Tag. Es ist Nightingale-Day, benannt nach der Krankenschwester Florence Nightingale. Dieser Name war uns zwar ein Begriff, mehr aber auch nicht. Schon gar nicht hätten wir gedacht, dass diesem Tag, dem Geburtstag dieser engagierten Krankenschwester, die als Begründerin der modernen Krankenpflege gilt, weltweit Bedeutung beigemessen wird.

3 Tage wurden die Feierlichkeiten vorbereitet, dafür muss man sich schließlich Zeit nehmen. Da so ein Fest auch Geld kostet, hatte der Finanzverwalter ebenfalls einen Beitrag zu leisten- 100.000 Tsh aus der Hospitalkasse waren angemessen. Man sagte, für einen geringen Teil des Geldes werden kleine Geschenke für die Patienten gekauft.

Wir waren gespannt, wie dieser Tag ablaufen würde.

Es wurde ein Zeitplan ausgehändigt, über den minutiös geplanten Ablauf haben wir uns amüsiert. Pünktlich 14.00 Uhr war Treffpunkt in der Kirche, die übrigens nicht nur Gottesdiensten sondern auch Mitarbeiter- und Gewerkschaftsversammlungen oder als Schulungsraum dient.

Gegen 15.30 Uhr trudelten so nach und nach alle ein. Der dienstälteste Pfleger erinnerte mit wenigen Worten an den Anlass der Veranstaltung und informierte kurz über das Programm, dann ging es los. Die Schwesternschülerinnen zogen mit Kerzen und Gesang durch die Krankenzimmer, vornweg die Darstellerin der Florence Nightingale, es folgten die „alten“ Nurses, angeführt von Mama Chogo.



Auf mitgeführten Plakaten fordern sie gleichen Gesundheitsservice für alle.






Florence Nightingale mit künftigen "Nachtigallen"


Jedem Patienten wurde ein Stück Seife überreicht. Die meisten waren über die Zeremonie einigermaßen verwundert, freuten sich aber über Gesang und Geschenk, schließlich widerfährt ihnen soetwas wohl nicht noch einmal.

Nächstes Ziel war das Gelände der Schule, bunt dekoriert, mit Kunstblumen, Girlanden und Luftballons, wie man es hier mag. Dieser Teil des Festes begann sehr enrnsthaft. Einer der Krankenpfleger würdigte die großen Verdienste der Florence Nightingale. Während des Krimkrieges hatte sie sich für einen funktionierenden Krankenhausbetrieb eingesetzt, um kranke und zum Teil schwerstverwundete englische Soldaten zu behandeln und zu versorgen. Dank Wikipedia waren wir darüber inzwischen bestens informiert.

Mama Chogo verlas einen Eid, den die Krankenpfleger und -schwestern vor ihr stehend gemeinsam wiederholten. Einige waren so aufgeregt, dass ihnen die Hand dabei zitterte.


Sie schwören, jederzeit ihr Bestes für die Patienten zu geben und alles für deren Wohl tun

Auf dem Weg zu ihren Plätzen waren alle schon wieder gelöst. Man geht hier nicht einfach zu seinem Platz, sondern alle tänzeln hüftschwenkend unter Musikbegleitung zurück. Es folgten etliche Grußworte, auch Peter wurde vorher um eines gebeten. Wir hatten seine kurze Ansprache in Kiswahili übersetzt. Die Aussprache einiger bis dahin unbekannter Wörter klang zwar etwas holperig, aber allein dafür, dass er sich diese Mühe gemacht hatte, war einen Extrabeifall wert. Zwischendurch donnerten die Boxen, Max Chogo, unser Röntgenbildner und Neffe der Matron, führte durch das Programm und bewies wieder einmal sein Talent zum Entertainer.

Nun waren die Schülerinnen an der Reihe, zunächst mit ihrer hinreißenden Ngoma – Trommeln, Tanz, Gesang. Einige hatten ein Theaterstück zum Thema Hospitalalltag einstudiert und führten es nun auf. Interessant für uns war, dass sie ihre eigenen Schwächen offensichtlich ganz genau kennen und diese auf`s Korn genommen haben.

Eine sterbenskranke Patientin kommt mit ihren beiden demütigen Begleiterinnen zum Hospital. Ihre „Hodi-hodi“ -Rufe werden ignoriert, die beiden Damen in der Aufnahme sind in eine private Unterhaltung vertieft. Auf nochmaliges Rufen folgen barsche Töne, letztendlich wird das Trio in`s Arztzimmer geschickt. Der Doktor hat ein neues Handy und muss sich natürlich erst einmal ausgiebig seinem neuen Spielzeug widmen. Dabei stören Patienten doch nur. Seine Assistentin schickt die jammernde und sich vor Schmerzen krümmende Patientin erst einmal in`s Labor. Dort herrscht man sie an, sie solle sich nicht so haben, packt sie immerhin auf eine Liege- und lässt sie dort liegen. Es gibt schließlich wichtigeres, z.B. die Pause, die hier nicht selten über eine Stunde dauert. Das Ganze folgte noch einmal mit ausgewechseltem medizinischen Personal und: alle überschlugen sich mit freundlichen und tröstenden Worten, sofortiger Untersuchung und Medikamentengabe, Hilfe und Zuwendung. Ganz schnell war die Patientin wieder auf den Beinen. Der behandelnde Arzt im 2. Teil hatte auch einen Namen bekommen: Makassy. Er ist bekannt dafür, dass er sich ganz besonders um seine Patienten kümmert. Die anderen blieben anonym, solches Personal gibt es schließlich in Lugala nicht.

Schauspieler sind sie hier ja eigentlich alle, aber bei dieser Aufführung haben einige ihre Rollen wirklich sehr überzeugend gespielt.

Wie bei jeder Feier gab es natürlich auch noch Kulinarisches: Kuku (Hühnchen) und Soda (wie hier alle süßen Brausen zusammenfassend bezeichnet werden). Alle knabberten zufrieden an ihren Hühnerknochen herum und ließen sich noch eine Weile aus dröhnenden Boxen beschallen.

Die einsetzende Dunkelheit ist das Signal für den Aufbruch.

B.

Samstag, 7. Mai 2011

Befindlichkeiten

Etwas mehr als ein Jahr arbeiten wir nun im Hospital- damit wäre es Zeit zum innehalten und für einen kurzen Rückblick, für eine Bestandsaufnahme der Befindlichkeiten.

Vor einem Jahr war alles noch ungewohnt und oft auch pittoresk. Ungewohnt war das Klima, Regen und Feuchtigkeit zur Regenzeit, Hitze und Staub in den darauffolgenden Monaten. Ungewohnt war der Zwang, eine fremde Sprache zu sprechen und sich an die afrikanische Lebensweise anpassen zu müssen.

Für die Arbeit im Hospital galten plötzlich zu Hause erlernte und verinnerlichte Regeln und Verhaltensmuster nicht mehr; jede Entscheidung, auch wenn das Ergebnis schon vorher feststeht, wird im HMT (hospital management team) noch einmal ausführlichst besprochen und- wenn irgendwie möglich- in die gewünschte Richtung gelenkt. Auf Zusagen ist oft kein Verlass und die meisten Anordnungen bzw. Festlegungen müssen kontrolliert werden und das nicht nur einmal.... Wir mussten lernen, dass es Hierarchien nach Alter, Geschlecht und Bildung gibt. Dies bedeutet z.B., dass der Kraftfahrer niemals Beförderungsentgelt von einem clinical officer verlangen kann- das muss das „office“ machen. Andererseits wäscht der Kraftfahrer niemals sein Fahrzeug, dafür stellt er jemanden an- schließlich ist er Kraftfahrer und kein Wagenwäscher. Manchmal ist es ein wenig unübersichtlich, bei welcher Angelegenheit man welche Person anspricht.

Ungewohnt war auch, dass man immer, aber auch immer unter Beobachtung steht, dass es praktisch keine Privatsphäre mehr gibt. Ein bisschen war das ja früher auf den Dörfern bei uns auch so: da wusste jeder, was es beim Nachbarn zu Mittag gab. Aber hier hat das noch eine ganz andere Dimension. Jetzt bleiben die Einheimischen wenigstens nicht mehr vor unserem Haus stehen, um uns zu beobachten. Wenn wir jedoch in Lugala oder Malinyi ein paar Haufen Tomaten kaufen (Tomaten werden haufenweise zu je 4 Stück verkauft), dann weiß das am nächsten Tag jeder im Hospital. Auch wo und wann wir mit dem Rad entlang fahren- alles wird registriert. Es passiert ja sonst nichts und als „mzungu“ kann man sicher sein, dass man immer und überall bemerkt wird (die mzungu, mzungu - Rufe der Kinder sind manchmal doch ziemlich nervig und man könnte glauben, dass es nach “Mama“ das zweite Wort ist, das sie sprechen können).

Schließlich war auch die Tatsache, dass sich unser Leben nun beinahe nur auf ein kleines Hospital und unser etwa 200 Meter entferntes Haus beschränkt, mehr als ungewohnt. Eigentlich war alles neu und wir waren Wochen und Monate damit beschäftigt, uns in der neuen Umgebung zurechtzufinden, um Ereignisse und Personen bzw. deren Verhalten einigermaßen einordnen zu können. Unsere europäischen Koordinaten stimmten plötzlich einfach nicht mehr. Wahrscheinlich hätte es in Dar es Salaam oder Arusha oder einer anderen größeren Stadt diese Probleme nicht so ausgeprägt gegeben- aber wir sind hier im Busch, in einem eigenen Mikrokosmos.

An alles das haben wir uns mehr oder weniger gewöhnt. Auch an zeitweise Unter- oder besser Obermieter unter dem Dach (Eichhörnchen, Ratten, Fledermäuse); an die weitgehend fleischlosen und überschaubaren Mahlzeiten und die Tatsache, dass Besonderheiten wie Butter, Nudeln und Fisch-/ Fleischkonserven aus Dar es Salaam und Salami oder Schinkenspeck aus Deutschland mitgebracht werden müssen.

Die Hütten im Busch und die kleinen Feuer am Abend vor jeder Hütte, die kunstvollen Flechtfrisuren und die bunte Kleidung der Frauen, ihren Gang- alles das sehen und hören wir nicht mehr. Es ist einfach Normalität geworden.

Aber es gibt ein paar Dinge, an die ich mich nicht gewöhnt habe- und immer mehr als Mangel empfinde, je länger ich mich hier aufhalte. Da ist einmal die Eindimensionalität des Lebens hier im Busch und wenn man so will: damit auch der Verlust der Freiheit. Wenn Freiheit bedeutet, entsprechend seinen Möglichkeiten sein Leben gestalten zu können, dann muss man schon erwähnen, dass diese Möglichkeiten hier gegen Null tendieren. Wie schon gesagt, unser Leben beschränkt sich auf Haus und Hospital- das Krankenhaus mit seinen 80 Beschäftigten ist der größte Arbeitgeber weit und breit - und damit sind 150 km in jeder Richtung gemeint- und viel mehr ist auch nicht möglich. Wenn ich in Deutschland bin, dann kann ich (muss aber nicht!) ins Theater, Kino oder Konzert gehen, man kann Essen gehen oder Freunde besuchen, ich kann mir ein mich interessierendes Buch kaufen oder leihen und es lesen- es gibt unendlich viele Möglichkeiten, seinen Interessen nachzugehen, sich auszutauschen oder etwas Neues zu entdecken. Hier gibt es gar nichts und wenn ich mich abends mit einem Buch hinsetze, dann habe ich das wahrscheinlich schon vor einem Jahr in die Transportkiste gepackt. Das gleiche trifft für mitgebrachte Filme und Musik zu- sie sind der Versuch des richtigen Lebens im fremden. Diese Eintönigkeit führt dazu, dass man abends im Büro bleibt bis die Mücken unerträglich werden und auch am Wochenende wieder hier sitzt. Die Hoffnung auf neue Informationen im Internet ist einfach zu groß.

Dazu kommt die absolute soziale Kontaktlosigkeit. Es gibt keine wie auch immer gearteten Beziehungen zu jemandem (vom hier ebenfalls arbeitenden Arzt einmal abgesehen), und wenn es im Jahr 2-3 Einladungen zu einer Konfirmation oder ähnlichem gibt, dann ist das immer eine Einladung, die ausschliesslich mit der Erwartung auf ein respektables Geldgeschenk verbunden ist.

Allein könnte man dieses Leben nicht durchstehen- über kurz oder lang bekäme man einen Tropenkoller. Wir sind, Gott sei Dank, zusammen hier: wir stehen morgens zusammen auf, frühstücken zusammen, sitzen uns an unseren Bürotischen gegenüber und erleben und ertragen Ärger und die Zumutungen gemeinsam, gehen zum Mittagessen, wieder ins Büro und am Abend sind wir zusammen in unserem Haus. Jeden Tag, jede Woche und jeden Monat- immer wieder, ein Aus- oder Abweichen ist einfach nicht möglich und das muss man sich einmal nur ansatzweise und ganz vorsichtig vorstellen. Aber wie gesagt- ich bin jeden Tag dankbar, dass wir die Anforderungen hier in Lugala gemeinsam angehen können. Allein wäre man nach kurzer Zeit wirklich ganz allein- und am ENDE.

P.