Dienstag, 24. August 2010

Wie spät ist es?

Einen Wecker brauchen wir hier nicht. Noch in der Dunkelheit beginnen alle Hähne des Dorfes zu krähen, spätestens dann ist für uns die Nacht zu Ende. Zum Glück gibt es Ohropax für denjenigen, der damit schlafen kann– ich kann es nicht.

Zwischen 06.00 und 07.00 Uhr geht die Sonne auf, jahreszeitliche Unterschiede gibt es ein paar Grad südlich des Äquators nicht – und deshalb ist es auch jeden Tag 19.00 Uhr wieder dunkel. Nach diesem täglich gleichen Verlauf richten sich die Zeitangaben in Tanzania. Natürlich hat auch hier ein Tag 24 Stunden, doch beginnt die Stundenzählung des Tages zum Sonnenaufgang mit Stunde 0 bzw. weil es das Ende der Nacht ist, nach Stunde 12. Nach unserer Zeitrechnung ist es dann 06.00 Uhr. So werden die 12 Stunden des Tages bis zum Einbruch der Dunkelheit gezählt und wiederum mit Stunde 0, bzw. 12 beginnt die Nacht, also 18.00 Uhr MEZ. Wenn notwendig, folgt zur eindeutigen Zeitangabe der Zusatz siku für tags und usiku für nachts, wie im Englischen mit a.m. und p.m.

Damit noch nicht vertraut, hatte uns der schon bei der Anmeldung nach Deutschland übermittelte Stundenplan der Sprachschule verblüfft – der Unterricht begann täglich SAA 02.00. Darauf konnten wir uns zunächst keinen Reim machen, denn auch die nachfolgenden Pausen- und Endzeiten passten natürlich nicht in unser MEZ-Schema. Wir fanden es sehr ungewöhnlich, SAA 04.00 zur Frühstückspause zu gehen, SAA 06.30 von Mittagessen zu sprechen und SAA 10.00 Schulschluss zu haben.

Inzwischen schon Geschichte: Ankündigung der Übertragung des WM Halbfinalspiels ...

für uns war es 21.30 Uhr.

Wenn hier Verabredungen getroffen werden, macht man das mit den Einheimischen grundsätzlich nach Kiswahili – Zeiten, etwas anderes kennen sie schließlich nicht.

Besuchszeiten zur Versorgung der Patienten

an die sich die Angehörigen so ungefähr halten, da es schließlich morgens, mittags und abends die üblichen Essenszeiten sind.

Im Hospital werden Termine im Allgemeinen mit den uns geläufigen MEZ-Angaben vereinbart, denn das HMT – Hospital Management Team, dem auch wir angehören, spricht englisch.

Es gibt im ländlichen Sprachgebrauch einige für uns amüsante Umschreibungen für Zeitangaben, die nach den üblichen Aktivitäten zur jeweiligen Tageszeit benannt werden, wie „bring die Herde auf die Weide“ (gegen 08.00 Uhr), „bring die Herde nach Hause“ (spätestens 17.00 Uhr), „ist das ein Mensch oder was ist das?“ bezeichnet man die Zeit zwischen Sonnenuntergang und Dunkelheit, wenn man kaum etwas erkennen kann oder „der Topf steht auf dem Feuer“, dann ist es gegen 19.00 Uhr, wenn das Abendessen gekocht wird.

Schon diese vagen Deutungen zeigen, dass Zeitangaben hier eigentlich nichts wert sind oder bestenfalls der groben Orientierung dienen. Ist für 13.00 Uhr ein HMT-Meeting vereinbart, beginnt es niemals vor 14.00 Uhr, irgendwann trudeln alle ein und das endlose Palaver beginnt. Für uns war das eine große Umstellung, vor allem für den Pünktlichkeitsfanatiker vom Rechnungshof.

Zeit spielt für einen Tanzanier keine Rolle. Eine Uhr hat ohnehin kaum jemand und Zeit haben hier alle, wenn auch sonst nichts weiter - im Überfluss.

Sonntag, 8. August 2010

Eine Woche Urlaub

Nach einem kurzen aber wie ich finde, wohlverdienten Urlaub hat auch mich der Alltag in Lugala wieder. Lange hatte ich mich auf Claudias Besuch gefreut, dann sind die knapp drei Wochen mit ihr wie im Flug vergangen. Bis zum letzten Tag ihrer Abreise aus Deutschland wussten wir nicht einmal, ob sie tatsächlich kommen würde. Mit unseren Unternehmungen hier in Lugala waren wir natürlich sehr eingeschränkt, Radtouren durch die Buschdörfer und unsere geplante Regenwaldwanderung durch die Udzungwa-Berge mussten ausfallen. Doch wichtig war vor allem, dass wir die Zeit gemeinsam verbringen konnten. Außerdem war ich hier ohnehin noch in der Pflicht, da Quartalsabrechnungen erledigt werden mussten und wenn wir in Lugala anwesend sind, sind wir sowieso immer im Dienst - vor allem Peter, der auch schon mal nachts aus dem Bett gerufen wird, weil das Hospitalauto mit leerem Tank abgestellt wurde, man aber dringend einen Patienten holen muss. So hat Claudia eine ganze Menge Hospitalalltag erlebt.

Mit Charles als stolzem Chauffeur waren wir auf Spazierfahrt am Furua. Allein hätten wir uns in dem weitverzweigten Wegenetz durch die – jetzt trockene – Sumpfebene wohl hoffnungslos verirrt. Es ist ein idyllischer Platz und Charles meint, abends kämen Elefanten zum Fluss.


mit Charles am Furua

Unsere Weiterreise begann dann schon ein bisschen abenteuerlich. Peter brachte uns nach Ifakara und wollte nach unserer Zugabfahrt am nächsten Morgen samt Geldboten und dringend benötigter Reifen zurück nach Lugala fahren. Elisabeth Rotzetter, Leiterin des SolidarMed-Büros in Ifakara hatte noch brauchbare Reifen, die unsere „Glatzen“ vorerst ersetzen sollten. Eine ungewöhnlich lange Autoschlange am Kilombero machte uns stutzig, wenig später die Gewissheit – die Fähre ist kaputt. Wann sie wieder einsatzbereit sein würde, wusste niemand, repariert wurde schon seit geraumer Zeit. Die Fischer nutzten natürlich die Gunst der Stunde und setzten die Leute gegen ein Mehrfaches des Fährpreises mit ihren Einbäumen über.

im Einbaum über den Kilombero

Ganz ungefährlich ist das nicht, es gibt Krokodile und Nilpferde, doch denen war der Trubel an diesem Tag wohl zu groß. Wir haben jedenfalls keine gesehen. Es blieb uns schließlich keine andere Wahl, den Fluss ebenso zu überqueren, wollten wir wie geplant mit der TAZARA (Tanzania-Zambia-Railway) am nächsten Morgen nach Dar Es Salaam fahren. Der Zug fährt zweimal wöchentlich, mitgenommen wird man nur mit platzreservierten Fahrkarten. Für einen Platz in einem der vier 1.Klasse-Waggons im Stil DR 80-er Jahre und ziemlich verschlissen, sollte man die Fahrkarte wenigstens 14 Tage vorher kaufen, will man nicht in der überfüllten Holzklasse zwischen Menschen, Hühnern, Reissäcken und sonstigen überdimensionalen Gepäckstücken und Bündeln schwitzen.
Mit Elisabeth war schnell vereinbart, Geldbote und Reifen werden zum Ufer gebracht, mit Einbaum übergesetzt und Peter fährt mit beiden/m zurück. Die Vorstellung, dass Peter in der Dunkelheit mit seiner wertvollen Fracht durch die Wildnis nach Lugala fährt, war mir unheimlicher als die am Ende doch sehr ruhige Flussüberquerung im Einbaum.

Claudia und ich mussten auf der Ifakara-Seite noch eine ganze Weile auf das SolidarMed-Auto warten, schließlich war Wochenende, Fahrer und Geldbote nicht auf diesen Einsatz vorbereitet. Zwischenzeitlich war tatsächlich die Fähre wieder flott und Peter gelang es mit geschicktem Vordrängeln und Verweis auf seine zu transportierende Patientin aus dem Lugala-Hospital mit der zweiten Überfahrt an´s andere Ufer zu kommen. An den im Einbaum übergesetzten Mzungu mit Krücken konnten sich natürlich alle erinnern.

Auf die Verspätung der TAZARA am nächsten Morgen waren wir eingestellt, mitunter sind es auch mal 20 Stunden. Das macht niemandem etwas aus, denn wenn man hier in Afrika auch sonst nicht viel hat, Zeit haben alle. Trotzdem waren wir natürlich pünktlich am Bahnhof, denn verlässliche Informationen gibt es nicht. Auf teilweise landschaftlich sehr schönen Strecken geht es recht gemächlich in 9 Stunden nach Dar. Allein der Abschnitt durch den Selous Nationalpark lohnt diese Fahrt, denn hier erlebt man sozusagen eine „Safari for free“.

Auf Sansibar gab es dann Erholung, wie man sich das auf einer exotischen Insel vorstellt: Sonne, Strand, Indischer Ozean, entspannte Menschen, reife Früchte im Überfluss, gutes Essen, für mich guten Wein – Claudia blieb bei ihrer Brause- ein bisschen faulenzen und lesen, auf Sansibar natürlich ein Bummel durch Gewürzplantagen und durch die verwinkelten Gassen der Stone town.

Gewürznelken kurz vor der Ernte

Nach einer Woche bestieg Claudia ihr Flugzeug nach Berlin und für mich ging es mit der Fähre auf`s Festland nach Dar, mit dem Taxi zum Bus und wieder zurück in den Busch. Peter hat mich auf halber Strecke abgeholt und schon sehnlich erwartet – siehe letzten Beitrag.

Freitag, 6. August 2010

Eine Woche Einsamkeit

Ich hatte Beate und Claudia in Ifakara zum Bahnhof gebracht, 7.00 Uhr sollte der Zug fahren. Später erfahre ich, dass der Zug 5 Stunden Verspätung hatte – das war noch relativ pünktlich, es waren auch schon 12 Stunden und mehr. Dann muss ein geplatzter Reifen gewechselt werden, das Radkreuz bricht auch noch ab, aber am Abend bin ich dann wieder in Lugala.
Ein ganz komisches Gefühl- der einzige Mzungu weit und breit zu sein. Der Arzt Peter Hellmold ist in Deutschland, Beate urlaubt mit Claudia und ich bin allein in der Wildnis.
Wie sehen dann die Tage aus? Soziale Kontakte außerhalb der Arbeit gibt es nicht und wird es wohl auch niemals geben. Also bleiben nur: Arbeiten, Fahrrad fahren, Lesen und Internet. Ich fange mit dem letzten an und gebe zu, dass ich noch bis vor wenigen Monaten ein absoluter Internet-Ignorant war. Hier ist es das Fenster zur Welt und ich bin dankbar für diese Erfindung.

unser Fenster zur Welt

Lesen ist auch eine Abwechslung, aber jeden Abend allein mit einem Buch ist auch nicht unbedingt aufbauend. Da ist Fahrrad fahren schon besser, man muss nur die einzig befestigte Straße hier meiden. Es gibt jetzt mehr Fahrzeuge als gewöhnlich (die Reisernte wird mit prinzipiell überladenen Lastwagen irgendwohin geschafft) und jetzt zur Trockenzeit macht einem der Staub doch zu schaffen. Aber auf den Wegen etwas abseits macht es Spaß – die Hütten unter Palmen, Cashewnuss- und Mangobäumen, die Feuer vor den Hütten und Kinder über Kinder. Es ist wie das Eintauchen in eine andere Welt.

mit dem Fahrrad unterwegs

Bleibt noch die Arbeit und da ist es schon ein ungewöhnlicher Zustand und auch ein bisschen verstörend, sich mit niemandem austauschen zu können. Eigentlich gibt es täglich ein oder mehrere neue Probleme, aber wenn ich dann (wie geschehen) einer größeren Gruppe staffs gegenüberstehe und diese der Meinung sind, ihnen würden über 8 Mio Schilling Sitzungsgeld vorenthalten – dann ist es schon eine besondere Situation. Oder wenn das Krankenhaus Tag für Tag und rund um die Uhr von brennendem Müll eingenebelt wird und alle Plasteabfälle gleich mit verbrannt werden – das ist auch nicht unbedingt stimmungsfördernd. In diesem Fall habe ich abends bis in die Dunkelheit versucht, mit Wasser die Brände zu löschen. Natürlich allein, wen interessiert das sonst.
Bei der Dieselabrechnung wird betrogen, d.h. irgendjemand hat geklaut, der Diesel für die Stromversorgung wird nicht rechtzeitig nachgefüllt – und alles das muss man mit sich allein abmachen. Da fällt es doch schwer, die Anwesenheit hier in Lugala nicht in Frage zu stellen.
Ich möchte diesen Job hier nicht allein machen und wenn ich es mir überlege: ich bewundere die Menschen, z.B. die Missionare, die unter bedeutend schwierigeren Bedingungen dieses Kreuz auf sich genommen haben. Da ziehe ich voller Ehrfurcht den Hut.