Samstag, 7. Mai 2011

Befindlichkeiten

Etwas mehr als ein Jahr arbeiten wir nun im Hospital- damit wäre es Zeit zum innehalten und für einen kurzen Rückblick, für eine Bestandsaufnahme der Befindlichkeiten.

Vor einem Jahr war alles noch ungewohnt und oft auch pittoresk. Ungewohnt war das Klima, Regen und Feuchtigkeit zur Regenzeit, Hitze und Staub in den darauffolgenden Monaten. Ungewohnt war der Zwang, eine fremde Sprache zu sprechen und sich an die afrikanische Lebensweise anpassen zu müssen.

Für die Arbeit im Hospital galten plötzlich zu Hause erlernte und verinnerlichte Regeln und Verhaltensmuster nicht mehr; jede Entscheidung, auch wenn das Ergebnis schon vorher feststeht, wird im HMT (hospital management team) noch einmal ausführlichst besprochen und- wenn irgendwie möglich- in die gewünschte Richtung gelenkt. Auf Zusagen ist oft kein Verlass und die meisten Anordnungen bzw. Festlegungen müssen kontrolliert werden und das nicht nur einmal.... Wir mussten lernen, dass es Hierarchien nach Alter, Geschlecht und Bildung gibt. Dies bedeutet z.B., dass der Kraftfahrer niemals Beförderungsentgelt von einem clinical officer verlangen kann- das muss das „office“ machen. Andererseits wäscht der Kraftfahrer niemals sein Fahrzeug, dafür stellt er jemanden an- schließlich ist er Kraftfahrer und kein Wagenwäscher. Manchmal ist es ein wenig unübersichtlich, bei welcher Angelegenheit man welche Person anspricht.

Ungewohnt war auch, dass man immer, aber auch immer unter Beobachtung steht, dass es praktisch keine Privatsphäre mehr gibt. Ein bisschen war das ja früher auf den Dörfern bei uns auch so: da wusste jeder, was es beim Nachbarn zu Mittag gab. Aber hier hat das noch eine ganz andere Dimension. Jetzt bleiben die Einheimischen wenigstens nicht mehr vor unserem Haus stehen, um uns zu beobachten. Wenn wir jedoch in Lugala oder Malinyi ein paar Haufen Tomaten kaufen (Tomaten werden haufenweise zu je 4 Stück verkauft), dann weiß das am nächsten Tag jeder im Hospital. Auch wo und wann wir mit dem Rad entlang fahren- alles wird registriert. Es passiert ja sonst nichts und als „mzungu“ kann man sicher sein, dass man immer und überall bemerkt wird (die mzungu, mzungu - Rufe der Kinder sind manchmal doch ziemlich nervig und man könnte glauben, dass es nach “Mama“ das zweite Wort ist, das sie sprechen können).

Schließlich war auch die Tatsache, dass sich unser Leben nun beinahe nur auf ein kleines Hospital und unser etwa 200 Meter entferntes Haus beschränkt, mehr als ungewohnt. Eigentlich war alles neu und wir waren Wochen und Monate damit beschäftigt, uns in der neuen Umgebung zurechtzufinden, um Ereignisse und Personen bzw. deren Verhalten einigermaßen einordnen zu können. Unsere europäischen Koordinaten stimmten plötzlich einfach nicht mehr. Wahrscheinlich hätte es in Dar es Salaam oder Arusha oder einer anderen größeren Stadt diese Probleme nicht so ausgeprägt gegeben- aber wir sind hier im Busch, in einem eigenen Mikrokosmos.

An alles das haben wir uns mehr oder weniger gewöhnt. Auch an zeitweise Unter- oder besser Obermieter unter dem Dach (Eichhörnchen, Ratten, Fledermäuse); an die weitgehend fleischlosen und überschaubaren Mahlzeiten und die Tatsache, dass Besonderheiten wie Butter, Nudeln und Fisch-/ Fleischkonserven aus Dar es Salaam und Salami oder Schinkenspeck aus Deutschland mitgebracht werden müssen.

Die Hütten im Busch und die kleinen Feuer am Abend vor jeder Hütte, die kunstvollen Flechtfrisuren und die bunte Kleidung der Frauen, ihren Gang- alles das sehen und hören wir nicht mehr. Es ist einfach Normalität geworden.

Aber es gibt ein paar Dinge, an die ich mich nicht gewöhnt habe- und immer mehr als Mangel empfinde, je länger ich mich hier aufhalte. Da ist einmal die Eindimensionalität des Lebens hier im Busch und wenn man so will: damit auch der Verlust der Freiheit. Wenn Freiheit bedeutet, entsprechend seinen Möglichkeiten sein Leben gestalten zu können, dann muss man schon erwähnen, dass diese Möglichkeiten hier gegen Null tendieren. Wie schon gesagt, unser Leben beschränkt sich auf Haus und Hospital- das Krankenhaus mit seinen 80 Beschäftigten ist der größte Arbeitgeber weit und breit - und damit sind 150 km in jeder Richtung gemeint- und viel mehr ist auch nicht möglich. Wenn ich in Deutschland bin, dann kann ich (muss aber nicht!) ins Theater, Kino oder Konzert gehen, man kann Essen gehen oder Freunde besuchen, ich kann mir ein mich interessierendes Buch kaufen oder leihen und es lesen- es gibt unendlich viele Möglichkeiten, seinen Interessen nachzugehen, sich auszutauschen oder etwas Neues zu entdecken. Hier gibt es gar nichts und wenn ich mich abends mit einem Buch hinsetze, dann habe ich das wahrscheinlich schon vor einem Jahr in die Transportkiste gepackt. Das gleiche trifft für mitgebrachte Filme und Musik zu- sie sind der Versuch des richtigen Lebens im fremden. Diese Eintönigkeit führt dazu, dass man abends im Büro bleibt bis die Mücken unerträglich werden und auch am Wochenende wieder hier sitzt. Die Hoffnung auf neue Informationen im Internet ist einfach zu groß.

Dazu kommt die absolute soziale Kontaktlosigkeit. Es gibt keine wie auch immer gearteten Beziehungen zu jemandem (vom hier ebenfalls arbeitenden Arzt einmal abgesehen), und wenn es im Jahr 2-3 Einladungen zu einer Konfirmation oder ähnlichem gibt, dann ist das immer eine Einladung, die ausschliesslich mit der Erwartung auf ein respektables Geldgeschenk verbunden ist.

Allein könnte man dieses Leben nicht durchstehen- über kurz oder lang bekäme man einen Tropenkoller. Wir sind, Gott sei Dank, zusammen hier: wir stehen morgens zusammen auf, frühstücken zusammen, sitzen uns an unseren Bürotischen gegenüber und erleben und ertragen Ärger und die Zumutungen gemeinsam, gehen zum Mittagessen, wieder ins Büro und am Abend sind wir zusammen in unserem Haus. Jeden Tag, jede Woche und jeden Monat- immer wieder, ein Aus- oder Abweichen ist einfach nicht möglich und das muss man sich einmal nur ansatzweise und ganz vorsichtig vorstellen. Aber wie gesagt- ich bin jeden Tag dankbar, dass wir die Anforderungen hier in Lugala gemeinsam angehen können. Allein wäre man nach kurzer Zeit wirklich ganz allein- und am ENDE.

P.

1 Kommentar:

  1. Vielleicht ist ein Besuch bei euch keine Belastung sondern eine Abwechslung für euch in diesem einerseits spannenden und doch einförmigen Leben. In diesem Sinne freuen wir uns auf unser Wiedersehen in Lugala in gut 2 Wochen. Für uns wird es ein kurzzeitiges Abenteuer, aber auch für euch werden alle Widrigkeiten eines Tages eine schöne Erinnerung sein. In diesem Sinne weiterhin einen schönen Aufenthalt wünschen M.u.V.

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