Samstag, 27. August 2011

Geschafft - 2 Jahre Ausbildung in Lugala

Der erste Jahrgang der vor 2 Jahren gegründeten Lugala School of Nursing hat seine Ausbildung beendet. Nach einer zweiwöchigen Prüfungsphase wirkten alle recht müde, doch für die Vorbereitungen des großen Abschlussfestes hatten alle noch genügend Energie. Es ist immer wieder erstaunlich: hier geht im Alltag so vieles schief, aus Nachlässigkeit, Vergesslichkeit oder weil man einige Dinge einfach nicht wichtig nimmt, Sauerstoff- und andere Gasflaschen sind ganz plötzlich leer, Medikamente alle und nicht rechtzeitig nachbestellt, Geräte verlegt oder verschwunden, Wasserhähne sowieso dauernd kaputt – doch bei den Feiern klappt alles perfekt, von der Musik bis zur Bewirtung der Gäste, alles läuft nach einem sorgfältig ausgearbeiteten Plan. Doch diese Feiern veranstalten sie schließlich für sich selbst und das ist der große Unterschied.
Bevor das große Fest steigen konnte, waren natürlich die Prüfungen zu absolvieren, schriftlich, mündlich und auch praktisch musste das erworbene Wissen nachgewiesen werden. In geheimer Mission wurden die in einem Umschlag versiegelten Prüfungsunterlagen aus Ifakara abgeholt. Eigens dafür musste der Fahrer den Schuldirektor nach Ifakara bringen und mit ihm als einzigem Fahrgast zurückkommen. Nichts und niemand durfte im Auto mitgenommen werden. Wenn man weiß, dass es hier keine Schwierigkeit ist, ein Zeugnis passend zu machen, um geforderte Zugangsvoraussetzungen zu erfüllen, oder sich ein Abschlusszeugnis zu kaufen, scheint dies geradezu absurd.
Die beiden Prüfer hingegen wurden mit großer Begleitung abgeholt, Schuldirektor und beide Lehrerinnen ließen sich das nicht nehmen. Als beide Prüfer nach 2 Wochen wieder zurück gebracht wurden, wäre für weitere Personen im Landcruiser kein Platz mehr gewesen. Die Zuwendungen in Form von prall gefüllten Reissäcken dürften für das neu gefederte Fahrzeug eine Herausforderung gewesen sein.
Stolz und erstmals in weiß - die ersten Absolventinnen der Lugala School of Nursing
Letzten Samstag war es soweit: Ganz stolz zogen die Nurses erstmals in ihren frischen blütenweißen Uniformen, die sie nun von den rosa gekleideten Schülern unterscheidet, auf das Festgelände und wurden von ihren Familien und dem Krankenhauspersonal - alle in großer Robe - mit Beifall erwartet. Mama Chogo nahm ihnen den hier obligatorischen und inzwischen auch uns bekannten Florence -Nightingale-Eid ab. Jede/r wurde einzeln mit musikalischer Begleitung nach vorn gerufen, erhielt das Zeugnis aus den Händen des Schuldirektors und anschließend Glückwünsche und Geschenke von Familien und Freunden.
Bunte Girlanden gehören immer dazu
Manche wurden mit bunt verschnürten Päckchen geradezu überhäuft und bei einigen kullerten sogar ein paar Freudentränen, weswegen sie blitzschnell in ihren Zimmern verschwanden. Dabei ist mir bewusst geworden, dass man hier nie jemanden weinen sieht, entweder gibt es Wehklagen und -schreien oder Jubelgesänge und Freudengeschrei, aber Tränen zeigt niemand.
Nachdem diese Zeremonie für die 45 Absolventen vorüber und alle Grußworte ausgetauscht waren, Schuldirektor und Lehrerinnen größere und kleinere Geschenke ihrer ehemaligen Schüler in Empfang genommen hatten - dann endlich wurden die Boxen bis zum Anschlag aufgedreht und die Gäste bewirtet. Diesen Part übernahmen die Schülerinnen des Folgejahrgangs. Wie üblich gab es die sehnsüchtig erwarteten süßen Brausen, gekocht wurde diesmal nicht nur Kuku (Hühnchen) sondern, wegen der vielen Gäste, eine Kuh. Die hatte es den Beteiligten vorher schwer gemacht, war nach dem Kauf ausgerissen und musste erst gesucht und wieder eingefangen werden.

Für 13 Absolventen hat das Hospital die Ausbildung ganz oder teilweise bezahlt. Diese sind nun verpflichtet, je nach Anteil des Sponsorings ein bis drei Jahre im Lugala Lutheran Hospital zu arbeiten. Der permanente Mangel an ausgebildeten Pflegekräften und Ärzten war vor einigen Jahren Anlass, diese Schule in Lugala zu gründen, bis zur endgültigen Zulassung im letzten Jahr ist viel Zeit vergangen. Im Oktober werden die Krankenpflegerinnen ihre Arbeit aufnehmen. Mama Chogo freut sich über die Erleichterung ihrer Dienstplanung auf den Stationen, aber dieser Zuwachs bedeutet auch einen enormen Sprung bei den Personalkosten – und das bei der zwar vor Monaten in großer Runde im Ministerium zugesagten anerkannten Bettenzahl aber noch immer unverändert für weniger als die Hälfte des Personals überwiesenen Gehältern.
Auch die anderen Absolventen haben keine Probleme, eine Stelle zu bekommen. Jedes Krankenhaus wird sie dankbar einstellen. So werden die jungen Frauen künftig einen nicht unerheblichen Anteil am Familieneinkommen haben und die Investition der Eltern in die Ausbildung ihrer Kinder hat sich gelohnt.
B.

Mittwoch, 17. August 2011

Kommunikationsschwierigkeiten

Ich weiß nicht, wie oft wir in den letzten Wochen immer wieder die selben Lieder gehört haben. Dabei haben wir noch Glück und wohnen genügend weit von der Musik entfernt....Aber der Reihe nach :
Die Ernte in diesem Jahr war gut- reichlich Regen und zur rechten Zeit Sonne und Trockenheit, so dass der Reis reifen konnte. Jetzt fahren täglich abenteuerlich beladene Transporter nach Malinyi und weiter nach Ifakara. Die Leute haben mehr Geld in der Tasche (nur nebenbei: wenn man nach der Ernte bzw. den Erträgen fragt- dann winken die shamba-Eigentümer ab und stöhnen; aber da unterscheiden sie sich nicht von den Bauern in Deutschland) und deshalb hat auch Makassy seine "Bar" wieder geöffnet. In der Zeit der knappen Kassen ist sie geschlossen. Bar ist bestimmt ein Euphemismus, ein Verkaufsverschlag (so wie alle Läden hier), ein paar Plastikstühle und -hocker, etwa 6 qm sind überdacht und keine 10 Meter entfernt donnern die oben erwähnten Tranporter mit riesiger Staubfahne vorbei; nebenan werden unter freiem Himmel die Speisen gekocht und gleich mit eingestaubt. Die Leute kommen gegen 17 Uhr und spielen Dame, d.h. zwei spielen in wechselnder Besetzung, die anderen sehen zu und kommentieren lautstark.

Makassy-Bar
Und hören Musik. Der Tonregler ist bis zum Anschlag aufgedreht und jede Unterhaltung schlicht unmöglich. Das ist aber nicht nur bei Makassy so, auch in Malinyi ist die Musik in den beiden Kneipen oder Handyläden schon fast schmerzhaft. Überall im Land ist das der Fall- ich habe keine Erklärung dafür. Deshalb gibt es auch keine Unterhaltung, alle sitzen nur da, sehen den Damespielern zu und wechseln manchmal die Plätze. Ich will gerecht sein: wenn ich komme und Bier trinke, wird die Lautstärke zurückgenommen, aber wenn ich dann gehe- und die Fahrstraße noch nicht überquert habe- wieder voll aufgedreht. Beate weiß dann, in 3 Minuten bin ich zu Hause. So geht das bis tief in die Nacht. Gesehen haben wir es noch nicht (mit Einbruch der Dunkelheit kann man sich wegen der Mücken nicht mehr draußen aufhalten, gegen 19 Uhr sind wir also meist zu Hause), aber die Vorbereitungen für das Abendessen lassen darauf schließen, dass auch später noch einige Gäste erwartet werden. Auf offenem Feuer auf drei Steinen werden in einer Ölpfanne immer im selben Öl abwechselnd Fisch und Bananen frittiert.

Vorbereitung des Abendessens - Kochbananen und Fisch

Das Schärfste ist jedoch, dass es offenbar nur diese eine CD gibt, die irgendwann einmal kopiert wurde und nun ununterbrochen gespielt wird, sehr laut gespielt wird. Wir hören es in unserem ca. 400 m entfernten Haus immer noch laut genug. Da es im Dorf keinen Strom gibt, hat Makassy für die Beschallung extra einen Generator angeschafft.
Eine Unterhaltung mit einer Bierflasche in der Hand ist also schon wegen der Lautstärke nicht möglich und außerdem - wie und worüber sollten wir mit den Schwarzen reden? Da sind einmal die sprachlichen Schwierigkeiten. Unsere Fertigkeiten des Kisuaheli (besonders meine, Beate ist mir da um Längen voraus) und ihre Kenntnis der englischen Sprache sind nur unvollkommen und damit beschränken sich Gespräche zumeist auf das Notwendigste. Dazu kommt, dass es bei einem Gespräch mit einem Einheimischen einfach kein Thema geben würde. Wir wohnen jetzt über ein Jahr hier wie auf einer Insel, kennen viele Leute und erkennen sie manchmal schon auf weite Entfernung, aber auch nach dieser langen Zeit haben wir wenig Kenntnis wie sie leben, oft auch nicht wo sie leben und was sie denken. Das würden sie uns auch niemals sagen. Wir stehen hier in der Hierarchie ganz oben, da würde bei dem ausgeprägten Rangordnungsdenken der Tanzanier niemand mit uns ein seine persönlichen Ansichten betreffendes Gespräch führen. Wir werden zwar angesprochen, ob wir jemandem Schulgeld bezahlen, ob wir Geld verborgen oder jemandem ein Haus bauen könnten- das ist die übliche und normale Bettelei. Diese ist auch nachvollziehbar; wenn die Leute hier erleben, wieviel Geld von den Weißen für das Hospital oft in kürzester Zeit aufgetrieben werden kann und wie schnell ein Vorhaben zu Ende gebracht ist- müssen sie ja denken, dass alle Europäer/Amerikaner Geld im Überfluss haben. Man kann es auch niemandem klarmachen- und da bin ich wieder bei den Verständnisschwierigkeiten- dass es in Deutschland zwar beachtliche soziale Leistungen gibt, dass die Mittel dafür aber erst einmal hart erarbeitet werden müssen. Damit ist ein Gespräch auch über diesen Bereich bzw. auf dieser Ebene erledigt. Weil man mit Menschen nicht über Dinge reden kann, die sie einfach nicht kennen oder anders ausgedrückt: man kann mit einem Blinden nicht über Malerei diskutieren....Das ist einfach so....
Wenn die Einheimischen als Gesprächspartner ausscheiden, bietet sich natürlich der hier tätige Arzt für die Kommunikation an- und um Kommunikation ging es ja eigentlich. So angenehm es ist, einen weiteren deutschen Gesprächspartner zu haben- oft genug reduzieren sich die Gespräche auf die Organisation des Hospitalbetriebs und noch öfter auf aktuelles Krisenmanagement. Dazu kommt noch die Beurteilung der Besucher, Gespräche über die Aktivitäten (meist sind es Forderungen) der Diözese. Da unsere einzige Verbindung zur Außenwelt das Internet ist, haben wir auch täglich die selben Nachrichten, über die man sich austauschen kann. Doch egal über welches Thema wir uns auch unterhalten, irgendwann landen wir immer wieder beim Hospital.
Wir haben auch sehr unterschiedliche tägliche Erfahrungen. Der Arzt ist unbedingt die absolute Autorität aber in seiner täglichen praktischen Arbeit auf ein kollegiales Miteinander angewiesen- auf die Zusammenarbeit mit dem OP- Team, mit der Matron, mit dem Hospital Management Team und bei diesen Gesprächen erfährt er schon die eine oder andere Neuigkeit- und sei es der hier übliche Klatsch. Außerdem hat er öfter ein Erfolgserlebnis: eine schwierige und dennoch geglückte OP; eine Mutter, die sich nach der Entbindung bei ihm bedankt; ein geheilter Patient, den eigentlich schon alle abgeschrieben hatten und mehr....Alles das haben wir nicht. Wir versuchen eine gute Verwaltung anzubieten und sind mit unseren Vorstellungen vom ehrlichen Umgang mit den Finanzen, mit einer bescheidenen Systematik in der Verwaltung oder auch Verantwortung für die tägliche Arbeit oft im grundsätzlichen Widerspruch zu den Angestellten. Was denUmgang mit Geld, die Solidarität mit Schwächeren oder auch Sauberkeit und Ordnung betrifft- unsere Auffassungen könnten oft nicht unterschiedlicher sein. Und da nicht zu erwarten ist, dass sich die Auffassungen der Schwarzen ändern, müssen wir immer und immer wieder Kompromisse eingehen und den kleinsten gemeinsamen Nenner finden. Auf jeden Fall bekommt man in diesem täglichen Miteinander bestimmt keine familiären Angelegenheiten mitgeteilt.
Ein Phänomen kann man aber nach diesem doch längeren Aufenthalt hier in der Abgeschiedenheit bemerken: man nimmt viel deutlicher wahr, wie sehr der Leser von und zu Nachrichten gelenkt wird. Gerade weil wir sonst keine Möglichkeiten haben, uns anderweitig zu informieren. Da wird ein Thema gepusht, täglich aufgeregt darüber berichtet und bald von der nächsten Sensation abgelöst. Beispiele?? Wer spricht heute noch von Fukushima? Dabei frisst sich dort immer noch die geschmolzene Masse in den Boden... Wer spricht noch von Gadhafi und Libyen- dort wird immer noch gekämpft, aber das ist keine Meldung mehr wert. Welche Nachricht erinnert noch an Herrn zu Guttenberg- noch vor kurzer Zeit haben Nachrichten über ihn sogar die Meldungen zur Eurokrise überlagert. Von dem Getöse um die FDP ganz zu schweigen....
Das wird wohl ein ganz großer Gewinn unseres Aufenthaltes hier auf dieser Insel Lugala sein: wir haben gelernt, Dinge nicht so wichtig zu nehmen- in wenigen Tagen interessiert es ohnehin niemanden mehr.
Und ich hoffe sehr, dass dieser Zustand nach unserer Rückkehr sehr, sehr lange anhält.....
P.

Samstag, 13. August 2011

Haustiere

In den Dörfern halten viele Leute Hühner, die überall durch`s Gelände laufen. Da Hühner einfach nur dumm sind, rennen sie, obwohl am Straßenrand friedlich herumpickend, gerade immer dann über die Straße, wenn ein Fahrzeug kommt. Erstaunlicherweise schaffen sie es meist unversehrt zur anderen Seite. Auch mit dem Fahrrad muss man aufpassen, dass nicht eins zwischen den Speichen hängenbleibt. Für den geflügelten Nachwuchs braucht man natürlich auch Hähne und so werden wir zuverlässig jeden Morgen weit vor Sonnenaufgang geweckt. Aus allen Richtungen kräht es.
Einige Enten sieht man auch. Ziegen gibt es reichlich, von denen neuerdings in Malinyi immer eine frisch geschlachtete in der Serengeti-Bar zum Verkauf hängt. Das Fleisch der jungen Zicklein ist wunderbar zart und ein schöner Sonntagsbraten. Von den halbsesshaften Sukuma mit ihren großen Watussirinderherden abgesehen, halten einige etwas wohlhabendere Leute eine Kuh oder ein Schwein.

Außerdem sieht man etliche Hunde, die irgendwie alle gleich aussehen und von denen die wenigsten einen Besitzer haben. Die meisten dieser armseligen Kreaturen streunen verwahrlost herum und müssten eigentlich alle von ihren vielen sichtbaren Leiden erlöst werden. Aber darum kümmert sich niemand.

Wir haben seit gestern auch ein Haustier – einen jungen Waran. Er hat sich unseren Garten für seine Erdhöhle ausgesucht, vielleicht als strategisch günstige Lage zu Nachbars Hennen mit ihren Küken, die sich immer wieder durch Charles` mühevoll verdichtete Hecke kämpfen. Wir haben den Eindruck, am liebsten halten die sich in unserem Garten auf und scharren alles kaputt. Als ich das Erdloch gestern entdeckte, dachten wir erst, es sei eine Schlange, worüber wir wenig erfreut gewesen wären. Eine Begegnung mit Kobras und Puffottern kann dramatisch enden. Man sah zunächst im Taschenlampenschein nur etwas Zusammengerolltes mit schöner Oberflächenzeichnung. Wir waren drauf und dran, Wasser hineinzuschütten, um das Tier herauszulocken, da quälte es sich von selbst rückwärts aus seiner Höhle heraus.

Unser freundlicher Gartenbewohner

Warane, auch recht große Exemplare, sind schon öfter durch den Garten spaziert, haben es sich auch auf dem Dach bequem oder von dort auf die Streifenhörnchen auf dem Avocadobaum Jagd gemacht. Aber die kleinen flinken Kletterer sind keine leichte Beute. Ich bin froh, dass ich dies tagsüber beobachtet habe. Auch nachts hat schon mehrmals ein Waran versucht, am Verandagitter auf das Dach zu klettern, ist dabei abgerutscht und zur Erde geplumpst. Die kratzenden und rumpelnden Geräusche ließen auf Bedrohliches schließen, doch wir wussten, wer der nächtliche Besucher war und es gab keinen Grund zur Beunruhigung.

Ein früherer Besucher auf dem Dach

Nun sind wir gespannt, wie lange der Waran bleibt. Vielleicht wird er wirklich zum Hühnerschreck. Uns soll es recht sein, wo die scharren, bleibt nicht ein Grashalm stehen.

B.

Kurzer Nachtrag zu Uwes Kommentar: Auch hier werden Warane gegessen, hat uns Tischler Lyabonga erzählt. Ob als Delikatesse oder eher aus Not, wissen wir allerdings nicht, wahrscheinlich letzteres. Wir werden auf dieses Geschmackserlebnis ganz sicher verzichten.

Montag, 8. August 2011

Schwarze Stunde

Letzten Samstag gab es für das Hospital eine ganz schwarze Stunde – aus der Maternity wurde ein Baby gestohlen. Eigentlich ist das unvorstellbar, denn die Mütter sind mit ihren Neugeborenen nie allein. Eine Oma, Tante oder Schwester, in den seltensten Fällen der Vater des Kindes, ist in den ersten Tagen immer dort und steht der Mutter bei. Der üblicherweise in einen Kanga gewickelte Neuankömmling wird umhergetragen und allen gezeigt. Vielleicht konnte es auch gerade deshalb passieren, bei den vielen Anwesenden fällt es kaum auf und es wird nicht darauf geachtet, ob vielleicht jemand ein fremdes Baby im Arm trägt. In den von den Frauen in mehreren Lagen übereinandergetragenen Kangas, den bunten Universaltüchern, kann man so einen kleinen „Frischling“ außerdem problemlos verstecken.

Es geschah während der abendlichen Besuchszeit, wenn also noch ein Familienangehöriger mit dem Abendessen kommt, dabei wird es schon ein bisschen unübersichtlich auf der Station. Natürlich gab es große Aufregung und die Polizei wurde sofort informiert. In diesem Falle setzten jedoch alle ihre große Hoffnung, das Baby schnell und gesund wieder zu finden, auf die wohl allen Tanzaniern eigene Neugier und ihr großes Mitteilungsbedürfnis. Hier wird über alles und jeden geredet, nichts bleibt verborgen. Es gibt keine Neuigkeit, die nicht sofort weitererzählt werden muss und jeder weiß so ziemlich alles über jeden.

Am Sonntag wurden Suchanzeigen aufgehängt und in den umliegenden Dörfern verteilt. So rechneten im Hospital alle damit, dass es auffällt, wenn plötzlich ein Neugeborenes auftaucht, ohne dass zuvor eine schwangere Frau in der Familie zu sehen war. Dies ist aber längst keine Veranlassung, diese Entdeckung der Polizei mitzuteilen. Die Nachbarn fragen vielleicht nach, doch hier gibt es immer und für jede Situation irgendeine Erklärung, mit der man sich zufrieden gibt, sei sie auch noch so absonderlich.

Damit die Suche also möglichst schnell zum Erfolg führt, wurde eine Belohnung ausgesetzt – 50.000 Tsh – ein halber Monatslohn für einen ungelernten Arbeiter, wenn er überhaupt einen Arbeitsplatz hat. Für die meisten Leute in der Region ist es richtig viel Geld und die Verlockung groß genug, intensiv nach dem Baby zu suchen. Tatsächlich gab es bereits am Sonntagabend erste Informationen, man wisse, wo das Baby sei, z.T. haarsträubende Vermutungen und recht wilde Spekulationen, es wurden viele Orte genannt, auch in Ifakara hätte man eine Frau mit diesem Kind gesehen.

Aber am Montag gab es wirklich den entscheidenden Hinweis. Makali fuhr mit Mama Chogo und Polizeibegleitung ins benachbarte Dorf. Sie fanden den Säugling bei einer Frau. In Windeseile hatte sich das natürlich herumgesprochen, vor dem Hospital gab es eine große Menschenansammlung. Alle warteten - und als unser sonst eher vorsichtige Fahrer Makali angebrettert kam, wurde das glücklicherweise wohlbehaltene Kind mit einem unglaublichen Freudengeschrei empfangen.

Nicht jede Frau bringt hier ein willkommenes Baby zur Welt, doch die junge Mutter und ihre Familie waren ehrlich verzweifelt und bestürzt, schockiert, wie alle Angestellten auch. Es war ihr erstes Kind und sie hatte sich wirklich gekümmert. Überglücklich konnte sie nun ihr Baby wieder in die Arme schließen.

Die ausgesetzte Belohnung wurde am Dienstag von zwei Männern abgeholt. Sie wollten, dass es niemand mitbekommt, doch auch dies wird mit Sicherheit nicht geheim bleiben.

Wie immer, wenn etwas passiert ist, wird über Konsequenzen nachgedacht. Vor Jahren war die Tür zur Maternity immer verschlossen. Neben der Tür gibt es ein Fenster mit einer Holzplatte als Abstellfläche, durch welches das Essen für die Mütter hereingereicht wurde. Irgendwann war diese Platte weg und man konnte nichts mehr abstellen. Jeder ging ein und aus und niemanden störte es. Jetzt wird unser Tischler Lyabonga wieder eine Abstellfläche an besagtem Fenster anbringen und die Tür verschlossen bleiben. Mal sehen wie lange.

B.

Montag, 1. August 2011

Anderes Denken

Es gab in diesem Jahr eine gute Reisernte. Auf einigen Shambas musste noch einmal nachgepflanzt werden, nachdem sich der Furuha während des großen Regens ein neues Bett durch die Felder gesucht hatte, doch insgesamt ist man mit dem Ertrag zufrieden. Dies macht sich auch am endlich steigenden Einkommen des Hospitals bemerkbar. Die Menschen können wieder Geld für einen Arztbesuch und Medikamente aufbringen. Diesen unmittelbaren Zusammenhang immer wieder zu sehen ist schon bedrückend.

Aber es ist auch zu beobachten, dass das Einkommen in dieser Region gestiegen ist: etliche Steinhäuser wurden gebaut, einige sogar sehr aufwändig, man sieht noch mehr Satellitenschüsseln zu denen auch ein Fernsehgerät gehört, es gibt Fahrradverkaufs- und -verleihstationen, deutlich mehr Motorräder sind unterwegs, in Malinyi wurden neue Lädchen mit dem hier üblichen bunten Angebot und die "New Serengeti Bar" eröffnet. Das meiste ist sicher auf Pump finanziert, doch es ist mehr Geld im Umlauf als vor einem Jahr.

Auch im Hospital gibt es durchaus Patienten, die für besonderen Service etwas mehr zu bezahlen bereit sind und den Aufenthalt in einem Einzelzimmer wünschen. Eines gibt es nun auf jeder der 3 Stationen, pro Nacht sind 2.000 Tsh extra zu bezahlen. Diese Zimmer sind nicht ständig mit Patienten belegt, trotzdem fast immer, im wahren Sinne des Wortes, bewohnt - sie werden einfach von unseren Angestellten als Gästezimmer für ihre zahlreichen Familienmitglieder und Besucher genutzt. Für uns ist diese Idee völlig abwegig, hier denkt man eben einfach nur praktisch.

Für die Angehörigen der von weit her kommenden Patienten haben sich die vorher zum Teil unwürdigen Bedingungen auch verbessert. Die Unterkünfte wurden mit finanzieller SOLIDARMED-Unterstützung einer dringend notwendigen Komplettreinigung und Renovierung unterzogen, dank Bundeswehrreform mit Kasernenschließungen gibt es per Container gelieferte Betten, das Areal um die Wasserstelle, die mittlerweile auch Enten, Hühnern und streunenden Hunden als Tränke diente, wurde repariert und das gesamte Gelände eingezäunt. So haben wirklich nur noch die Angehörigen Zutritt, die für die Übernachtung einen minimalen Beitrag bezahlen, je nach Komfort zwischen 200 und 1.000 Tsh. Allerdings hat es sich herumgesprochen, dass man hier sauber und preiswert übernachtet. Ein Zimmer im Gästehaus in Malinyi kostet 2.000-3.000 Tsh und so gibt sich manch sparsamer Gast schon mal als Angehöriger eines Patienten aus und schummelt sich in`s Hospitalquartier.

Zwei junge Männer sind als Wach- und Reinigungspersonal für diese Unterkünfte eingestellt worden. Sie kommen aus umliegenden Dörfern und haben hier einen Arbeitspatz gefunden. Die beiden geben sich viel Mühe und machen ihre Sache richtg gut. Doch als erstes kamen sie mit einer Liste, was sie zu den vorhandenen Geräten, wie Besen, Eimer usw. brauchen: Gummistiefel, -handschuhe und Mundschutz. Sie haben sicher mal irgendwo gehört, dass so etwas im Krankenhaus getragen wird. Man muss sich dazu vorstellen, wo die Leute herkommen; sie leben in bzw. vor der Lehmhütte, holen Wasser vom Brunnen, das gerade zum Kochen reicht, während der Regenzeit laufen sie mit Gummilatschen oder barfuß durch knöcheltiefen Schlamm, während der monatelangen Trockenzeit hüllen sie sich selbst mit jedem Schlurfschritt (kaum jemand hebt hier die Füße) in eine Staubwolke, ebenso beim Kehren des Platzes vor ihrer Hütte. Doch genau wie unsere Schwesternschülerinnen, die glauben, sie seien nun etwas Besseres und es macht etwas her, den ganzen Tag in weißen Handschuhen durch die Gegend zu laufen, brauchen sie Handschuhe, bevor sie einen Besen auch nur in die Hand nehmen und einen Mundschutz, damit sie nicht im Staub ersticken. Es ist einfach absurd.

Irgendwann hat das Hospital von irgendwoher einen Rasenmäher geschenkt bekommen. Dieser muss natürlich genutzt werden, auch wenn das Ding dauernd kaputt ist, viel Zeit für die Reparatur aufgewändet wird und der Liter Benzin 2.100 Tsh kostet. Die hier übliche Methode Gras zu schneiden beherrschen schon die halbwüchsigen Jungen mit ihren sensenähnlichen Werkzeugen, es geht sehr zügig, die Flächen sehen ordentlich und gleichmäßig geschnitten aus und der Rasenmäher ist hier eigentlich ungeeignet und absolut überflüssig. Aber er ist nun mal da und unser fleißiger Arbeiter Kibohola führt ihn den staunenden Patienten natürlich nur allzu gern vor – doch nicht ohne seine spezielle Ausrüstung:

Ohne Lärm- und Atemschutz wird nicht gemäht

Die Leute hören hier gern und vor allem sehr, sehr laut Musik. Aus den Boxen donnert und dröhnt es, so dass im näheren Umkreis keine Unterhaltung möglich ist. Manchmal ist es wirklich unerträglich, vor allem dann, wenn die Beschallung von mehreren Seiten erfolgt und man sich offensichtlich in der Lautstärke überbieten möchte. Den Leuten gefällt es. Die Motorräder werden ordentlich aufgedreht, selbst dabei geht nichts ohne zusätzlichen Musiklärm aus angebauten Boxen. Man muss schließlich auf sich aufmerksam machen. Der Rasenmäher ist vergleichsweise leise aber dafür ist unbedingt Gehörschutz notwendig - und ein Mundschutz, das versteht sich von selbst.

B.