Montag, 19. Dezember 2011

Der Preis des Fortschritts

Das Hospital hat einen zunehmend guten Ruf. Die Patienten kommen aus entfernten Gegenden, sogar aus Ifakara. Vielleicht liegt es auch daran, dass das medizinische Personal weitgehend von Verwaltungskleinkram verschont bleibt und sich seinen eigentlichen Aufgaben- der medizinischen Versorgung- widmen kann. Das führt natürlich auch zu höheren Einnahmen: im November des vergangenen Jahres hat das Hospital mit „patient fees“ etwas über 20 Mio Tsh. eingenommen, im gerade vergangenen November waren es über 33 Mio !! Außerdem hat sich die schweizer Hilfsorganisation SOLIDARMED in den vergangenen zwei Jahren verstärkt in Lugala engagiert. Es gibt immer wieder neue Bauprojekte und Umbauten, dazu werden Arbeitskräfte gebraucht und somit kommt Geld unter die Leute....

Das Hospital hat alle Gehälter pünktlich zahlen können- auch einschließlich der von der Regierung angeordneten Erhöhungen- was in Tanzania durchaus nicht die Regel ist- hat alle außenstehenden Altforderungen beglichen; es steht also (für afrikanische Verhältnisse) zur Zeit finanziell gut da. Auch damit ist wieder Geld unter die Leute gekommen...

Die Auswirkungen sind täglich zu sehen. Als wir vor knapp zwei Jahren hierher kamen, hat man tagsüber 4, 5, manchmal 6 Motorräder gesehen- wenn ich jetzt mittags zum Essen gehe stehen bis zu 20 Fahrzeuge vor dem Hospital. Blank geputzt und einige mit Musikanlage. Diese Motorräder entsprechen dann jenen Autos in Deutschland, die zumeist tiefergelegt sind und mit heruntergelassenen Scheiben und wummernden Bässen durch die Straßen fahren...Die stolzen Besitzer der Motorräder machen das hier auch - vor allem nachts ist das manchmal ein bisschen störend, zumal hier generell gern !!! LAUT!!! Musik gehört wird. Das ist der sicht- und hörbare Wohlstand. Die Kehrseite der Medaille ist, dass wir im Hospital jetzt fast täglich schwere Verkehrsunfälle zu versorgen haben (zur Zeit liegen auch zwei querschnittsgelähmte Patienten auf Station, ebenfalls nach Stürzen mit dem Motorrad). Die Erklärung dafür ist einfach: offiziell muss man natürlich eine Fahrerlaubnis erwerben- wie sich dieser ‚Erwerb‘ gestaltet, wird offengelassen. Man geht zur Zulassungsstelle und gegen Zahlung einer bestimmten Gebühr bekommt man die Fahrerlaubnis. So einfach ist das... Außerdem kann man schon für etwa 50.000 Tsh ohne jegliche Fahrpraxis einen Probeführerschein erhalten, der ist drei Monate gültig. So fahren sie dann auch- starten, losfahren, überschätzen... Das Hospital berechnet für die fachgerechte Versorgung der meist komplizierten Brüche 100.000 Tsh, wahrscheinlich sind auch so unsere gestiegenen Einnahmen zu erklären.

Jetzt gibt es neben dem Fahrrad- auch einen Motorradparkplatz

Bei der Fahrt durch die Dörfer sieht man neben den Lehmhütten überall neue Ziegelhäuser entstehen. Einfache Häuser zwar, aber immerhin... Der Bau eines Hauses geht folgendermaßen: an einer günstigen Stelle wird nach Lehm gegraben, dieser wird mit Wasser gestampft, zu Ziegel geformt, die dann in der Sonne trocken. Es werden gerade so viele Ziegel hergestellt, wie man zum Bau des Hauses benötigt. Aus diesen Trockenziegeln wird ein kegelförmiger Turm gebaut- innen ein kleiner Hohlraum, an einer Seite zwei Feuerlöcher- und der ganze Haufen von außen mit Lehm verschmiert. Dann wird der nächste, in der Nähe stehende, große Baum gefällt. Aus dem Stamm werden Bretter und Balken für das künftige Haus geschnitten, die dicken und dünnen Äste lässt man trocknen (das dauert bei den Temperaturen hier nicht lange) und heizt damit den Brennofen. Nach einigen Tagen sind die gebrannten Ziegel fertig.

Typische Ziegelbrennöfen

Bis zu diesem Zeitpunkt hat der ganze Hausbau noch keinen Pfennig gekostet, wenn man die eigene Arbeitskraft nicht rechnet... Aber das macht hier ohnehin niemand. Die erste richtig teure Geldausgabe ist der Kauf von Zement, ein Sack kostet etwa 15.000 Tsh - über 7 Euro (dafür arbeiten unsere cashworker 3 Tage). Außerdem muss ein Maurer bezahlt werden. Bretter und Balken des gefällten Baumes sind ausreichend für Dachstuhl und Fensterrahmen, sofern das Holz nicht schon vorher verkauft wurde- dann steht der Rohbau halt noch ein Jahr länger... Zum Schluss noch ein Grasdach, das irgendwann durch Wellblech ersetzt wird- und das neue Haus ist bezugsfertig, auch wenn oft noch Türen und Fenster fehlen. Der finanzielle Aufwand hat sich auf jeden Fall in Grenzen gehalten. Verblüffend ist, dass in vielen Fällen die Familie weiter in der Lehmhütte wohnt, das Haus vermietet und damit ein bisschen Geld verdient. Warum auch nicht?

Ich möchte nicht missverstanden werden- Motoräder und feste, stabile Häuser stellen zweifellos einen Fortschritt dar und ich will wirklich kein nostalgisch verträumtes Lugala und Umgebung. Nachdenklich macht mich nur die Tatsache, dass in den vergangenen zwei Jahren genauso viele dicke, alte Bäume verschwunden sind wie feste Häuser gebaut wurdenund man muss kein Hellseher sein um sich vorzustellen, wie es hier in 10 bis 15 Jahren aussehen wird. Vor wenigen Jahren wurde die Straße von Chalinze nach Arusha ausgebaut, es gab Arbeit und die Anwohner haben Geld verdient. Wenn man heute auf dieser Straße fährt, sieht man rechts und links feste Häuser- aber keinen einzigen Baum mehr...

Dies ist wohl der Preis, der für ein bisschen Wohlstand gezahlt werden muss.

Inzwischen ist das Gebiet Halbwüste, der Boden wird immer weniger ertragreich und die nomadischen Viehzüchter (Sukuma und Massai) wandern mit ihren Herden hier in das Kilomberogebiet ein- was natürlich zu Spannungen mit den ansässigen Reisbauern führt, da deren Felder von den Herdenbesitzern als Viehweide betrachtet werden.

P.


1 Kommentar:

  1. Ich glaube, diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Sie hat sich schon vor Jahrhunderten so in Europa vollzogen (was die Waldrodung zu Wohn- und Landwirtschaftszwecken betrifft). Viel schlimmer ist die kommerzionelle Urwaldrodung, die sich ja auch ganz in eurer Nähe abspielt. Es sind eben die 2 Seiten der Medaille, verbesserte Lebensqualität und Naturschutz - schwer unter einen Hut zu bringen.

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